Thünen-Papier in der Kritik
Im Projekt ReTiKo hat das Thünen-Institut die regionalwirtschaftlichen Auswirkungen einer möglichen Reduzierung der tierischen Produktion in Regionen mit besonders intensiver Viehhaltung untersucht. Im Fokus der Untersuchung standen dabei die Auswirkungen auf die regionale Wirtschaft, die von der tierischen Produktion abhängen. Vergleichbare Untersuchungen hat ein Wissenschaftlerkonsortium für Niedersachsen untersucht. Jan Müller, Präsident der Oldenburgischen Industrie- und Handelskammer, hat die Ergebnisse des Projekts Regionalwirtschaftliche Auswirkungen einer Reduzierung der Tierhaltung in Konzentrationsgebieten (ReTiKo)
des Thünen-Instituts jetzt kommentiert.
Kommentar von Jan Müller, Präsident der Oldenburgischen Industrie- und Handelskammer, zu den Ergebnissen des Projekts Regionalwirtschaftliche Auswirkungen einer Reduzierung der Tierhaltung in Konzentrationsgebieten (ReTiKo)
des Thünen-Instituts
Die Agrar- und Ernährungswirtschaft ist seit Jahrzehnten der wichtigste Wachstums- und Beschäftigungsmotor im Oldenburger Münsterland. Durch intensive Verflechtungen der Landwirtschaft mit vor- und nachgelagerten Bereichen ist ein weltweit einmaliges regionales Cluster entstanden. Eine radikale Schrumpfung des Agrarsektors würde die erfolgreichen, geschlossenen Wertschöpfungsketten zerstören und zu erheblichen Wachstums- und Beschäftigungseinbrüchen führen. Dies ist im Rahmen des TRAIN-Projektes (1) auch wissenschaftlich belegt worden.
Das Kernergebnis des ReTiKo-Projektes, eine deutliche Reduzierung der Tierhaltung in Konzentrationsgebieten könne ohne Wachstumsverluste erfolgen, erscheint vor diesem Hintergrund äußerst realitätsfremd. Die Argumentation, die Folgen einer forcierten Schrumpfung des Agrarsektors würden durch ein verstärktes Wachstum anderer Branchen kompensiert, da diesen dann mehr Arbeitskräfte und freie Flächen zur Verfügung stünden, ist aus unserer Sicht nicht nachvollziehbar. Mit einer solchen Sichtweise könnte die Zerschlagung jeder beschäftigungs- und flächenintensiven Branche gerechtfertigt werden.
Die im ReTiKo-Projekt angenommene besonders hohe Konkurrenz um Fachkräfte und Flächen in den Konzentrationsgebieten ist zudem differenziert zu betrachten. Der IHK-Standortatlas (2) zeigt, dass Unternehmen im Oldenburger Münsterland in der Tat nur wenig zufrieden mit der Verfügbarkeit von Arbeitskräften und Erweiterungsflächen sind (Schulnoten ‚befriedigend minus‘ bis ‚ausreichend‘). Die Bewertungen sind aber nicht schlechter als im Durschnitt des gesamten IHK-Bezirks, in der Tendenz sogar eher besser. Mit Blick auf den Arbeitsmarkt ist schon aus Gründen der spezifischen Qualifikationsbedarfe nicht davon auszugehen, dass ein Beschäftigungsabbau im Agrar- und Ernährungssektor zu einem Beschäftigungsaufbau in anderen Sektoren führt.
Wenig vertrauenserweckend wirkt die im Abschlussbericht des ReTiKo-Projektes getroffene Einschränkung, Diversifizierung und kompensatorisches Wachstum hingen ‚auch im besten Fall von einer stabilen konjunkturellen Entwicklung ab.‘ Die abschließende Empfehlung, die Transformation der Agrar- und Ernährungswirtschaft solle ‚nach Möglichkeit in einer positiven konjunkturellen Phase forciert werden‘, ist nicht hilfreich und praxisfern. Weder lassen sich anhaltend positive konjunkturelle Phasen zuverlässig im Voraus erkennen, noch ist die – schon lange stattfindende – Transformation der Branche in einem Zeitraum von wenigen Jahren umsetzbar.